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Bürokratieabbau in Europa

positionen

Bürokratie ist ein Hemmnis erster Kategorie gegen Effizienz und Wachstum unserer Wirtschaft. Die 23 Millionen kleiner und mittlerer Unternehmen in Europa, Rückgrat unserer Ökonomie und unseres Wohlstandes, leiden überproportional stark unter bürokratischen Lasten. Diese gehen nach allgemeinen Schätzungen rund zur Hälfte auf Rechtssetzung der Europäischen Union zurück, im regelungswütigen Deutschland mag der dem nationalen Gesetzgeber zuzurechnende Anteil etwas größer sein. Vor einigen Jahren allerdings war der von diesem Mühlstein verursachte Leidensdruck so groß geworden, dass in den Institutionen Europas eine wünschenswerte Entschlossenheit zum Gegensteuern gewachsen ist.

Im Januar 2007 steckte sich die Europäische Kommission „Barroso I“ selbst das Ziel, die Bürokratielast für Unternehmen bis 2012 um ein Viertel zu verringern. Daraus sollte sich nach ihrer Schätzung ein Kostenentlastungs-Volumen von 150 Milliarden Euro ergeben, wenn alle Mitgliedsländer die Regelungen zurücknehmen würden, die auf den betreffenden europäischen Rechtsakten beruhen. Ein Ausdruck des geläuterten Politikverständnisses ist dabei die Initiative „Bessere Rechtsetzung“. In diesem Rahmen hat die EU-Kommission zum Beispiel eine temporäre „Hochrangige Gruppe zum EU-Bürokratieabbau“ unter Leitung des früheren Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber eingerichtet, die bereits geltendes europäisches Recht nach Überflüssigem durchforsten und seit der jüngsten Verlängerung ihres Mandates auch – gemeinsam mit dem internen Ausschuss zur Gesetzesfolgen-Abschätzung – die EU-Kommission in Fragen der besseren Rechtsetzung beraten sollen.

Einige Erfolge in der Umsetzung sind sichtbar, aber die Abbau-Fortschritte entwickeln sich langsamer als gedacht. Auch Stoiber musste feststellen: „Das ist das Bohren richtig dicker Bretter.“ Warum ist Bürokratieabbau so schwer? Es gibt immer irgendjemanden, der von überflüssigen Vorschriften profitiert. Interessengruppen aller Art sehen durch weniger Bürokratie ihre Besitzstände und Einkommen bedroht und verteidigen diese mit oft frivoler Dreistigkeit. Aber auch Verwaltungen der Mitgliedstaaten sperren sich regelmäßig, wenn sie etwa durch Bürokratieabbau auf EU-Ebene ihre „europarechtliche Entschuldigung“ für überflüssige Regelungen verlören oder ihren Personalbestand nicht mehr rechtfertigen könnten. Insgesamt versucht ein Heer von Bedenkenträgern, neben den nationalen Regierungen insbesondere die Europäischen Institutionen vor den eigenen bürokratischen Karren zu spannen.

Als Mitglied im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments und rechtspolitische Sprecherin der FDP-Delegation bin ich selbst seit vergangenem Jahr sozusagen Frontsoldatin beim Abbau überflüssiger Bürokratie. Die hier wirkenden Mechanismen konnte ich in diesem Frühjahr zum Beispiel plastisch erleben am Kommissionsvorschlag zur Änderung der Richtlinie über den Jahresabschluss von Gesellschaften – ein Kernstück der Kommissionsinitiative. Die ursprüngliche Richtlinie von 1978 hatte den Mitgliedstaaten vorgeschrieben, unabhängig von der Unternehmensgröße stets einen Jahresabschluss zu fordern. Nun sollte bezüglich Kleinst-Unternehmen, denen der Abschluss regelmäßig eine überflüssige und teure Last ist, den Mitgliedstaaten überlassen werden, ob sie das jeweils verlangen wollen. Sinnvoll auch deshalb, weil Kleinstunternehmen nur zu sieben Prozent überhaupt grenzüberschreitend tätig sind und sich schon die Frage nach einer Verletzung des Subsidiaritätsprinzips durch die ursprüngliche Regelung stellte.

Vor der letztendlichen Zustimmung des Europäischen Parlaments zu dieser Maßnahme, welche eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, stand allerdings ein bitteres politisches Ringen. Widerstand kam insbesondere aus den südlichen Mitgliedsstaaten, wo oft statt einer effektiven Steuerverwaltung von den Finanzbehörden einfach die handelsrechtlichen Jahresabschlüsse herangezogen werden, und von um ihre Profite fürchtenden Klientelgruppen – in Belgien sind es etwa die Rechtsanwälte, die diese Jahresabschlussbilanzen fertigen, in Frankreich die Wirtschaftsprüfer. Kurz vor der Abstimmung im Plenum wurde sogar ein Europäischer Dachverband der kleinen und mittleren Unternehmen pervertiert, um Stimmung gegen die Entlastung zu machen. Denkbar knapp fiel denn auch unser Abstimmungserfolg aus. Der nächste und letzte Schritt ist es nun, die Blockade-Minderheit von Mitgliedstaaten gegen diesen Vorschlag im Rat (Frankreich, Belgien, Luxemburg, Italien, Österreich, Spanien und Portugal) zu überwinden.

Der Abbau von Bürokratie auf europäischer Ebene ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie beginnt in der Kommission, welche ihr Instrumentarium etwa um einen dauerhaften unabhängigen Rat für Bürokratieabbau zur Prüfung der Folgen neuer EU-Gesetzgebungsvorschläge schärfen könnte, damit Erfolge nicht durch neue Belastungen zunichte gemacht werden. Sie setzt sich fort mit dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat, wo dem Bürokratieabbau klare Priorität vor Partikularinteressen eingeräumt werden muss. Sie betrifft die Mitgliedsstaaten, welche eine möglichst unbürokratische Umsetzung von EU-Recht betreiben müssen. Sie wendet sich an jeden Bürger, der auf der zu diesem Zweck von der Kommission eingerichteten Webseite oder gegenüber der „Hochrangigen Gruppe“ selbst Vorschläge machen kann. Und sie ist eine Aufgabe der Medien, die mit dem hellen Licht der öffentlichen Transparenz so manchen Vampir vertreiben können.

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